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Gedenkstunde am „Mahnmal gegen das Vergessen“

Die Mitverantwortung von Mitgliedern der Wiener universitären Medizin an Unrechtshandlungen in und außerhalb der Universität Wien wurde jahrzehntelang verschwiegen, wenn nicht geleugnet. Eine Gedenkstunde am „Mahnmal gegen das Vergessen“ war auch in diesem Jahr zentraler Programmpunkt am Tag der Medizinischen Universität.

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Bei der diesjährigen Gedenkstunde am „Mahnmal gegen das Vergessen“ sprachen Rektor Markus Müller, Israels Botschafter Mordechai Rodgold und Claudia Prutscher, Vizepräsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde. Herwig Czech, Professor für Medizingeschichte der MedUni Wien, gab zudem einen Überblick über den Nürnberger Ärzteprozess, in dem vor 75 Jahren Medizinverbrechen des Nationalsozialismus verhandelt wurden. Oberkantor Shmuel Barzilai gestaltete die Gedenkstunde.


Mahnmal gegen das Vergessen

Enthüllung Mahnmal 2008
Oberrabiner Paul Chaim Eisenberg (links) und Kardinal Christoph Schönborn (rechts) enthüllten das Mahnmal.

Die Mitverantwortung von Mitgliedern der Wiener universitären Medizin an Unrechtshandlungen in und außerhalb der Universität Wien ist jahrzehntelang verschwiegen, wenn nicht geleugnet worden.

Es wurde verschwiegen, dass – beginnend bereits mit 11. März 1938 - 53% des Lehrkörpers der damaligen Fakultät aus "rassischen", aber auch aus politischen Gründen entlassen oder aus ihren Ämtern vertrieben wurden, dass diese Vertreibung oft mit Verbannung, Exil oder Tod verbunden war, dass damit eine Fakultät, die eine der größten in Europa, vor allem aber eine der exzellentesten des Kontinents war, irreparabel geschädigt wurde.

Vor allem wurde verschwiegen, dass die Rolle der ÄrztInnen
im Nationalsozialismus, an der auch österreichische ÄrztInnen beteiligt waren, den  schwersten Schlag charakterisiert, den die Medizin in ihrer Geschichte erlitten hat, dass der gesamte Berufsstand von der nationalsozialistischen Ideologie durchdrungen war, dass die medizinische Ethik politischen Heilslehren hat weichen müssen.

Erst 1998, 60 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, hat die damalige Medizinische Fakultät - anlässlich einer ebenfalls an einem 13. März stattgefundenen Gedenkveranstaltung - ihre Mitverantwortung eingestanden und bestürzt und mit  Schamgefühl sich der brutalen Vertreibung des größeren Teils der Fakultätsmitglieder erinnert.

Aus diesem Anlass wurde 1998 in den Arkaden der Universität Wien an prominenter Stelle eine Gedenktafel platziert, für deren Zustandekommen wir auch dem damaligen und  zwischenzeitlich verstorbenen Rektor Alfred Ebenbauer zu Dank verpflichtet sind.

Zehn Jahre später setzt die inzwischen zu einer eigenen Universität gewordene frühere Medizinische Fakultät an ihrer neuen Wirkungsstätte nun ihr eigenes Mahnmal zum Gedenken an die Vertriebenen.

Rektor Emeritus Wolfgang Schütz anlässlich der Enthüllung des Denkmals am 13.03.2008:

"Es war Jahrzehnte lang Tabu, dass Österreich seine Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus eingesteht. Auch an den Universitäten blieb dieses Buch der Mitverantwortung geschlossen. An der Medizinischen Fakultät der Universität Wien wurde es erst Ende der Neunzigerjahre, 60 Jahre nach dem Anschluss, wieder aufgeblättert. Denn jeder soll sehen, was niemals verdeckt und niemals mehr vergessen werden darf. Das am 13. März enthüllte Denkmal in Form eines Buches steht dafür als Mahnung für kommende Zeiten."


Das Verfahren behandelte auch die von Hans Eppinger – Vorstand der I. Wiener medizinischen Universitätsklinik – initiierten Meerwasser-Trinkversuche im Konzentrationslager Dachau. Dabei wurde ein Mittel zur Trinkbarmachung von Meerwasser für abgeschossene Piloten und Schiffsbesatzungen in Seenot erprobt. Mindestens 44 Personen, vor allem Roma und Sinti, wurden zu den Versuchen gezwungen. Viele trugen massive körperliche und psychische Schäden davon.

Eppinger nahm sich im September 1946 das Leben und entzog sich damit einer Aussage. Die im Prozess aufgezeigten Medizinverbrechen sorgten weltweit für Entsetzen. Mit dem „Nürnberger Kodex“ und dessen Prinzip des „informed consent“ wurde der Grundstein zu einer internationalen Reglementierung von Versuchen an Menschen gelegt.

Der Nürnberger Ärzteprozess endete am 20. August 1947 mit sieben Todesurteilen, fünf lebenslangen Haftstrafen und vier weiteren Haftstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren. In sieben Fällen erfolgte ein Freispruch. Das Urteil sollte weit über den strafrechtlichen Aspekt hinaus Bedeutung erlangen: Innerhalb des Dokuments verkündete das Gericht unter dem Titel „Permissible Medical Experiments“ zehn Grundregeln für die medizinische Forschung an Menschen. Diese Regeln waren um das zentrale Prinzip der informierten Einwilligung („voluntary consent“, später „informed consent“) organisiert und bildeten ein wichtiges Vorbild für spätere bioethische Regelwerke. Als „Nürnberger Kodex“ gingen sie in die Geschichte ein.